12 Januar 2023

Muss man sich vor dem Alter fürchten?

Zwei Frauen machen ein Puzzle

Interview mit Prof. Dr. med. Stefan Klöppel (46). Er ist Ordinarius für Alterspsychiatrie und Psychotherapie an der Universität Bern, Direktor und Chefarzt Universitätsklinik für Alterspsychiatrie und Psychotherapie. Er hat in Freiburg im Breisgau und Wien Humanmedizin studiert. Die Universitätsleitung Bern hat Stefan Klöppel 2016 zum ordentlichen Professor für Alterspsychiatrie und Psychotherapie ernannt. 

 

Herr Professor Klöppel, wie bereitet man sich auf das Alter vor?

Grundsätzlich sollte man beim Thema „Alter“ zwischen zwei verschiedenen Lebensabschnitten entscheiden. Die Zeit von 65 bis circa 80 Jahren ist oft gekennzeichnet von hoher Lebensqualität. Im noch höheren Alter treten zunehmend Krankheiten und Einschränkungen in den Vordergrund. Man kann sich auf verschiedene Arten auf das Alter vorbereiten. Schon mit 40 bis 50 Jahren kann ich mich fragen, welche Freunde ich unabhängig von der Arbeitsstelle habe. Zum Teil beeinflussen kann ich auch, in welchem Gesundheitszustand ich sein werde. Hier ist neben Kreislauftraining auch ein Erhalt der Muskulatur wichtig.

Welcher Typ Mensch freut sich über das Alter?

Besonders Menschen, die über eine natürliche Flexibilität verfügen und sich an veränderte Situationen anpassen können, geniessen ihr Alter. Im Durchschnitt steigt die Lebenszufriedenheit bis ins recht hohe Alter.

Was ist Altersgelassenheit?

Im Durchschnitt werden die Menschen umgänglicher und flexibler.

Welche Menschen haben Altersangst?

Altersangst empfinden Menschen, die hohe Erwartungen an sich stellen. Ihre Sorge gilt der Frage, wie es ist, alt zu sein. Wenn man mit älteren Menschen spricht, so fragt man sich, wie man selbst im Alter sein wird. Manche vermeiden deshalb, mit älteren Menschen zu sprechen, da sie einen ans Alter erinnern.

Welches sind die häufigsten psychischen Probleme bei alten Menschen?

Depressionen, Abhängigigkeitserkrankungen und Störungen der geistigen Leistungsfähigkeit treten am häufigsten auf. Ältere Menschen leiden besonders häufig an psychischen Erkrankungen, vielleicht weil ihnen aufgrund mangelnder Mobilität die Möglichkeit fehlt, soziale Kontakte zu pflegen. Sie fühlen sich oft nutzlos und fragen sich, welche Rolle sie in der Gesellschaft noch spielen. Menschen mit Grosskindern leiden seltener an Depressionen. Ausserdem stellen sich mit zunehmendem Alter oft Demenzerkrankungen ein.

Warum erinnern sich alte Menschen intensiver an ihre Vergangenheit als in jüngeren Jahren?

Man hat mehr Zeit und kann negative Erinnerungen aus der Vergangenheit nicht mehr so gut unterdrücken.

Was bedeutet ein „erfülltes“ Leben?

Das ist eine Redensart. Auch in kleinen Bereichen ist die Zufriedenheit wichtig. Für ältere  Menschen ist es wichtig, mit sich im Reinen zu sein. 

Wie äussert sich Todesangst?

Die Angst vor dem Sterben ist grösser als die Angst vor dem Tod. Das ist eine Frage
der Religiosität. Die Vorstellung, dass nach dem Tod nichts mehr geschieht, ist für viele alte Menschen entsetzlich. Es ist die Aufgabe von Seelsorgern, alte Menschen spirituell zu begleiten. Man möchte sich mit einem grösseren Ganzen verbunden fühlen.

Was halten Sie von bewusstseinserweiternden Substanzen im Alter?

In diesem Bereich hat sich in den letzten Jahren viel verändert. Medizinisches Cannabis zum Beispiel hilft in Kombination mit Psychotherapie gegen Ängste und Schmerzen. Eine kleine Gruppe von Ärzten setzt bei der Psychotherapie solche Substanzen ein. 

Wo steht die Demenzforschung?

Heute haben wir 150'000 Demenzkranke in der Schweiz. Bis 2050 wird sich die Anzahl verdoppeln, da die Bevölkerung immer älter wird. Demenz entsteht durch die jahrzehntelange Ablagerung von Eiweiss im Gehirn. Aktuell wird intensiv an einer Impfung gegen Demenz geforscht und Studien werden diskutiert. Durch diese Therapien lösen sich die Ablagerungen auf und das Fortschreiten der Erkrankung verlangsamt sich. In zwei bis drei Jahren dürfte eine Zulassung der Impfungen vorliegen. Auch ohne Impfung kann man Demenz abschwächen oder selbst verhindern, zum Beispiel mit angepasster Ernährung und geistiger Beschäftigung. Sehr wichtig sind soziale Interaktionen, also der Austausch mit anderen Menschen.

Wird es der Hirnforschung einmal gelingen, menschliches Leben zu verlängern?

Die Hirnforschung verfügt schon heute über Empfehlungen, wie man sein Gehirn vor dem Alter schützt, zum Beispiel mit sozialen Kontakten, Mobilität oder Auseinandersetzung mit dem Alter. Hier kann auch die Plattform Quartier+ helfen, da sie soziale Kontakte, Möglichkeiten zu geistiger Aktivität, aber auch Unterstützung vermittelt.

Das Interview mit Herrn Professor Dr. med. Stefan Klöppel führte Doris Schöni.

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Bewertungen der Community

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Flavia Nicolai
5
1 Stimme 5/5

Interessantes aus Hirn- und Demenzforschung und zur neuen Therapieform Demenz aufzuhalten mit einer Impfung. Danke, lesenswert.

Liebe Frau Nicolai, herzlichen Dank für Ihr wertvollen Feedback. Wir freuen uns, dass Ihnen der Fachartikel gefallen hat.
Beste Grüsse, Joanna Lisa, Team Q+

Karoline Wirth
4
1 Stimme 4/5

Finde es interessant, dass wir immer älter werden, aber nicht alt sein wollen. Danke für den interessanten Artikel.

Ja, das ist tatsächlich antithetisch! Vielen Dank für Ihren Kommentar, liebe Frau Wirth.
Herzliche Grüsse, Joanna vom Team Quartier+

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