21 November 2023

Schützt Alter vor Torheit?

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Eine Sonderausgabe des Magazins der Universität Zürich widmet sich dem Thema „Gesund älter werden“.  Darin entdeckten wir die interessante Frage, die zwei Professoren und eine Professorin aus unterschiedlichen Blickwinkeln beantwortet haben. Schützt Alter vor Torheit?
Was versteht man unter Torheit? Ein Tor oder Törichter ist sinngemäß eine Person, die etwas nicht nachvollziehen kann, solange sie es nicht selbst erlebt hat. Die Torheit ist das Gegenteil von Weisheit, Klugheit oder Schlauheit. Erfahren Sie untenstehend mehr im Dreisprung aus den verschiedenen Perspektiven.

Weise handeln

Die Vorstellung, dass Lebensalter und Torheit zusammenhängen, hat Wurzeln sowohl in der griechischen Antike als auch in der christlichen Tradition. In der alttestamentlichen Weisheitsliteratur steht der Tor im Gegensatz zum Weisen. Weil Weisheit hier als lebens- praktisches Wissen verstanden wird, gibt es einen naheliegenden Zusammenhang zwischen Lebensalter und Torheit: Im Alter gesammelte Lebenserfahrung kann aus einem Toren einen Weisen machen, allerdings nur, wenn er oder sie aus den Erfahrungen die richtigen Schlussfolgerungen zieht. 
Für die Autoren der Weisheitsliteratur des Alten Testaments ist entscheidend, ob es gelingt, die eigenen Lebenserfahrungen auf Gott zu beziehen. Für die Philosophen der griechischen Antike hingegen kann beispielsweise die Frage entscheidend sein, ob das praktische Wissen auf theoretische Einsicht bezogen werden kann. Wie auch immer das Kriterium definiert wird, ein Zusammenhang zwischen Lebensalter und Torheit/Weisheit bleibt bestehen: Ein höheres Lebensalter ist als Grundlage für Lebenserfahrung eine notwendige, aber keine hinreichende Voraussetzung dafür, nicht töricht, sondern weise zu handeln. Darum ist es durchaus plausibel, Achtung vor der Lebenserfahrung alter Menschen zu haben und gleichzeitig mit dem Volksmund zu betonen: «Alter schützt vor Torheit nicht.» (Autor: Michael Coors ist Professor für Theologische Ethik, Leiter des Ethikzentrum der Universität Zürich.)

Grenzen ausloten 

Das menschliche Gehirn ist Ergebnis fortlaufender Anpassungsprozesse. Während das Gehirn ein Leben lang lernt, ändert sich die Leichtigkeit, mit der es dies tut. Besonders im Kindes- und Jugendalter ist das Gehirn enorm lernfähig. Beim Lernen spezialisieren sich Nervenzellen und Netzwerke. So können wir im Lauf unseres Lebens immer schneller auf Gelerntes zurückgreifen. Das bedeutet aber nicht, dass wir etwas selbst erlebt haben müssen, um es zu verstehen. Etwas zu begreifen, ohne es selber erlebt zu haben, bedarf individueller Vorstellungskraft, Einfühlungsvermögen und Vorwissen. Sich nur auf Vorwissen zu verlassen, kann allerdings zu Fehlern führen. Deshalb ist es wichtig, dass wir uns den Drang erhalten, Neues auszuprobieren und Grenzen auszuloten. Dinge nicht als gegeben hinzunehmen und selbst auszutesten, ist eine der Eigenheiten der Jüngsten – und eine derjenigen, die wir als töricht bezeichnen. 
Wenn wir aufhören, das Gegebene zu hinterfragen, neues Wissen anzusammeln und zu testen; wenn die uns als Kind gegebene Lust am Lernen erlischt, dann geben wir das Lernen ein Stück weit auf. Wäre nicht gerade dies, egal in welcher Phase unseres Lebens, wirklich töricht? (Autorin: Nora M. Raschle ist Professorin für Psychologie. Universität Zürich.)

Schaden ohne Eigennutz

Die Chancen, töricht zu handeln, zu reden, zu fühlen und zu urteilen, sind auch im fortgeschrittenen Alter intakt. Die Wahrscheinlichkeit dummen Verhaltens ist unabhängig von jeder anderen Eigenschaft der Person, meinte Carlo M. Cipolla in «The Basic Laws of Human Stupidity» (2011). So ist Dummheit auch in Universitäten, Chefetagen, Opera- tionssälen oder der Kirche anzutreffen. Der «Tor» schadet anderen, ohne daraus für sich selbst einen Nutzen zu ziehen. Ein Baby ist (noch) nicht als töricht zu bezeichnen, obwohl es «eindeutig nicht nach einem vielversprechenden Kandidaten für intellektuellen Fortschritt» aussieht, «wenn wir uns der Schwierigkeit der Aufgabe besinnen, die ihm bevorsteht», schrieb der Philosoph Alfred North Whitehead. 
Also setzt Torheit ein bestimmtes Mass an Erfahrung und Kultiviertheit voraus, von denen mitunter eben gegenteiliger Gebrauch gemacht werden kann. Nur: Möchte man eine Person, die nicht auch fähig wäre, gegen Einsicht und Vernunft zu handeln, als «frei» be- zeichnen? Da menschliche Dummheit hingegen mehr noch als verbrecherisches Verhalten Schaden anzurichten vermag, fehlt das Bildungsziel «Freiheit zur Dummheit» in den Kompetenzkatalogen der Lehrpläne. Eine Welt, in der das Alter tatsächlich und durchgängig vor Torheit schützen würde, wäre vielleicht besser als die bestehende, aber doch auch viel langweiliger. (Autor: Roland Reichenbach ist Professor für Allgemeine Erziehungswissenschaft. Universität Zürich.)

 

Quelle: Erstpublikation erschienen in UZHmagazin 3/23, Seite 8. Zweitverwendung mit freundlicher Genehmigung der Kommunikation UZH und der Autorenschaft. Bild: Freepik von upklyak

 

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